Bürgerbeteiligung in Viernheim aus Sicht der Verwaltung

Wir haben an verschiedenen Stellen deutlich gemacht, dass eines unsere Ziele ist, mehr politische Themen für eine Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern zu öffnen – als Bürger an politischen Entscheidungen zu beteiligen.

Wir verfolgen damit einen relativ neuen politischen Ansatz, bei möglichst vielen Themen möglichst viele Meinungen, Argumente und Informationen aus Verwaltung, Parlament und Bürgerschaft einzubeziehen. Dies ist gewissermaßen das Management von Beteiligung zur Beteiligung. Einander zuhören, Positionen anderer zu verstehen versuchen und Kompromisse oder Konventionen zu finden wäre das Ideal. Unsere Meinung als Wählerinitiative wäre dann „nur“ Teil dieses Prozesses, nicht unsere Meinung durchzusetzen.

Das schmeckt nicht jedem und es gab am 13.9. eine Reaktion der Stadtverwaltung mit der Behauptung, dass sie hier Vorreiter sei und an vielen Dingen, die Bürgerschaft beteiligt. Lesen Sie im Folgenden eine Reaktion von uns:


Stellungnahme zum Presseartikel im VT vom 13.9.2025 bzgl. Bürgerbeteiligung Viernheim aus Sicht der Stadtverwaltung

von Uwe Pfenning

Bürgerbeteiligung??

Der Disput über Bürgerbeteiligung in Viernheim hat dank der Presse, insbesondere des VT, endlich begonnen. Dies ist wichtig. Viele Politikwissenschaftler sehen die Zukunft der Demokratie in einem Mehr an seriöser Bürgerbeteiligung. Dabei sollten alle Sichtweisen zu Wort kommen. Noch besser wäre es, wenn der Diskurs neben der Presse auch in Diskussionen mit der Bürgerschaft geführt würde in direkter Konfrontation gegensätzlicher Meinungen. Dazu hatte die Wählerinitiative Bürgernetzwerk Viernheim im Juni eingeladen. Die Stadtverwaltung war nicht vertreten. Thema war der wissenschaftliche Stand zur Bürgerbeteiligung. Fazit war, dass die Bürgerbeteiligung in Viernheim kaum modernen wissenschaftlichen Standards Stand hält. Dazu Näheres mit Bezug zur Sichtweise des Amtsleiters, dessen Engagement ich durchaus wertschätze.

1 ) Zur Klarheit: Unterscheidung von bürgerschaftlichen Engagement und politischer Beteiligung

Bürgerschaftliches Engagement ist definiert durch den begrüßenswerten, ehrenamtlichen Einsatz von Menschen für kollektive Eigeninteressen (Sportvereine), genossenschaftliche Aktivitäten (Initiative BürgerSolar), des Allgemeinwohls (Umwelt & Natur, BUND/Kompass) oder für andere Menschen wie die TAFEL der Sozialstation, das Lernmobil oder die Grundschülerbetreuungen. Vieles findet ohne die Stadtverwaltung statt. Damit ist Viernheim in der Tat reich gesegnet. Bei kollektiven Eigeninteressen und genossenschaftlicher Aktivitäten finden sich oftmals legitime Partikularinteressen.

Bürgerbeteiligung im wissenschaftlichen, engeren Sinne ist (seit etwa 35 Jahren Standard, van Deth, Renn, Pfenning, Bertelsmann Stiftung u.v.a.) jedoch dadurch definiert, dass Bürger auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen wollen bzw. können. Entweder durch eigene Initiativen Pro-„Etwas“, Proteste Contra-„Etwas“ (i.d.R. politische Entscheidungen) oder durch städtische Initiativen Bürger formal mitentscheiden zu lassen (z.B. Bürgerbegehren, Bürgerentscheide (§8a/b HGO), Bürgerhaushalte, Bürgerräte, Selbstverpflichtungen der Stadt u.a.). Selbstorganisierte Bürgerbeteiligung (Bürgerinitiativen) vertritt oftmals auch Partikularinteressen. Deshalb wurde durch eine Verwissenschaftlichung der Beteiligung Verwaltungen Instrumente an die Hand gegeben eigene Beteiligungsverfahren durchzuführen (gesteuerte Bürgerbeteiligung), deren wesentliche Merkmal das Einbeziehen möglichst aller Aspekte, Argumente und Sichtweisen ist. Eben einen Diskurs.

Zwischen bürgerschaftlichen Engagement und politischer Beteiligung sind fließende Übergänge möglich. Würde der Bürgermeister eine Aussetzung des Stadtfestes anordnen und sich der Festbeirat mit Petition und Demo dagegen wehren, wäre es Bürgerbeteiligung.

Eventuell ist diese Unterscheidung dem Amtsleiter trotz langer Erfahrung nicht bekannt.

2) Blick in die Vergangenheit

In Viernheim gab es in Belangen politischer Bürgerbeteiligung einen Bürgerentscheid (gegen die Bebauung am Bannholzgraben) und zwei Bürgergutachten (zur damaligen Sanierung des Waldschwimmbades und zum Rathausareal), ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung, einen Jugendgemeinderat, einen Ausländerbeirat, Demonstrationen gegen die Nutzung des Waldes als Panzerübungsgelände. Alle sind Geschichte, lange her Überlebt hat die selbstverwaltete Seniorenbegegnungsstätte – vielleicht gerade deshalb. Die heutige Stadtverwaltung hat keines dieser frühen Formate fortgeführt. Es kehrte einmal mehr Stillstand ein.

3) Schauen wir auf die Gegenwart

Bei neueren städtischen Versuchen „Bürgerbeteiligung“ in ihrem eingeschränkten Verständnis zu praktizieren, standen am Ende oft Bürgerproteste! So nach den Informationsveranstaltungen zu Nordwest II, bei der Aktion „Alle brauchen Platz“, der Umgestaltung des Tivoliparks. Beim Bau von Containerunterkünften für geflüchtete Menschen wurde offiziell von vornherein auf eine Bürgerbeteiligung verzichtet.

Beim neuen Projekt Viernheim Mitte, wird ein städtischer Angestellter im VT dahingehend zitiert, die Bürger bei der Beteiligung nicht zu überfordern. Lediglich Herr Walter Benz (Stadtverordneter UBV) nahm die Bürger in Schutz. Aufrichtigen Dank dafür! Aber diese Äußerung lässt Schlimmes befürchten. Aber wir wollen die Verwaltung nicht überfordern mit der Weisheit der Vielen, Visionen und neuen Ideen aus der Bürgerschaft, in der sicherlich gute Planer und Architekten zu finden sind.

Und wo finden sich im VHS-Programm Angebote für politische Bildung, respektive angesichts der Kommunalwahl 2026 und der allgemeinen Politikabstinenz? Ideen wären z.B. Aktivitäten zur Darstellung des Stadtparlamentes (Tage des Parlaments, ehedem erfolgreiche Initiative der Stv. Sigrid Haas (CDU))? Oder wie wäre es eine Unterrichtseinheit für Schulen zur Kommunalpolitik gemeinsam mit Schüler*innen und Lehrkräften zu erstellen? Oder Vorträge namhafter Politologen (mich ausgenommen, der Prophet zählt bekanntlich wenig im eigenen Land) zum Verständnis und Rolle von Bürgerbeteiligung? Oder die Darstellung erfolgreicher Projekte zu Bürgerräten, Bürgerenergie- und Stadtquartiersgenossenschaften anderer Gemeinden?

Und wo haben bisher städtische Beteiligungsverfahren zu Veränderungen von Planungen geführt? Aktuell ist der Disput zwischen BUND und Stadt, weil diese während des Beteiligungsverfahrens zu Nordwest II mit einem Kahlschlag Fakten schuf, wo der BUND für Erhalt großer Bäume eintrat.

Positiv zu sehen ist der Zukunftsdialog für die aufgelassenen Kirchengebäude in Viernheim.

4) Blick in die Zukunft

Wichtige kommunalen Themen sind Nachhaltigkeit, Klimawandel, lokale Energiewende, lokale Wärmeplanung, lokale Mobilität. Festbeirat, Vereinsfrühschoppen, Hallenbelegungszeiten etc. bestimmen sicherlich nicht die Zukunft Viernheims! Erstgenannte Themen schon. Viele dieser Politikfelder sind technikzentriert (Energie, Verkehr, Klima) und bedürfen wissenschaftlicher Klärung des Sachstandes. Viele wissenschaftliche Lösungen funktionieren aber nur, wenn Bürger*innen durch Überzeugung ihre Verhaltensweisen verändern. Überzeugen gewinnt man am besten gemeinsam.

Dazu braucht es aber mehr als Gruppengespräche, Metaplan, und im wahrsten Sinn des Wortes nichtsagende Beiräte, sondern wissenschaftliche Begleitung, interdisziplinäre Moderation, Prozessmodelle integrierender Bürgerbeteiligungsverfahren. Wo sind die Aktivitäten der Stadt (Stadtwerke eingeschlossen) diese Themen mit Bürgerbeteiligung anzugehen?

Eine persönliche, subjektive Wertung

Lange Zeit (über 25 Jahre) war ich Stadtverordneter in Viernheim (SPD/GRÜNE). Erlebt habe ich in dieser Zeit einen Niedergang der politischen Kultur, auch verursacht durch eine Abkoppelung, Ignoranz und Arroganz in Teilen der Verwaltung gegenüber Parlament und Bürgerschaft. Die Verantwortung sehe ich hierfür auch beim amtierenden Bürgermeister! Gesellt sich zur Arroganz und Ignoranz noch Inkompetenz wird es fatal in der Sachentscheidung und gefährlich für unsere Demokratie.

Von den anfänglichen Initiativen politische Macht für wichtige Entscheidungen an die Bürgerschaft zu delegieren, ist nichts mehr übrig. Für die Rückkehr zur echten politischen Beteiligung steht das Bürgernetzwerk Viernheim als Wählerinitiative. In meiner wissenschaftlichen Karriere mit Professuren beim DLR und Universität Stuttgart konnte ich Bürgerbeteiligungsverfahren anwenden und optimieren. Projekte erhielten Auszeichnungen für nachhaltige Bürgerbeteiligung und Leuchtturmprojekte. So kenne ich beide Perspektiven. Herr Stephan kennt nur eine Seite, seine. Und das reicht nicht aus!

Für eine öffentliche Aussprache oder gemeinsames Pressegespräch stehe ich gerne zur Verfügung.

Uwe Pfenning, Ehrenstadtverordneter, Hochschuldozent, Mitglied im Vorstand von BUND und im Grundschülerverein, Bürger, Mitglied und Kandidat in der Wählerinitiative Bürgernetzwerk Viernheim

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