Bezahlbares Wohnen

In Viernheim fehlt Wohnraum! Aber nicht irgendwelcher Wohnraum, wie das Beispiel des Angebots von Diringer & Scheidel mit ihren 5 geplanten Blöcken und rund 90 Wohnungen zeigt. Teuren Wohnraum haben wir genug, denn sonst wären die Wohnungen von Diringer und Scheidel schon alle gebaut und verkauft. Außerdem gibt es in der Region noch einige weitere Beispiele von gutem und teilweise luxuriösen Wohnraum, der gerade verkauft werden soll. Ein generelles Angebot ist also da und die Nachfrage danach durchaus eher verhalten.

Es ist also nicht der Mangel generell an Wohnraum, der manche Leute umtreibt, sondern die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum. Für junge Familien, für alleinerziehende Elternteile mit Kindern, für Senioren mit schmaler Rente etc.

Neue Wohngebiete erschließen?

In Viernheim will man die Nordweststadt II als neues Wohngebiet auf 19 Hektar Fläche erschließen. Hier argumentiert man zwar auch mit der Wohnungsnot, legt sich aber nicht explizit auf „bezahlbaren Wohnraum“ fest. Zwar steht in dem bereits jahrzehntealten ursprünglichen Konzept, dass 70 Prozent der dort entstehenden Wohnungen bezahlbar sein sollen, aber danach sieht es nicht aus. Ein Blick auf die Erschließungskosten und die bereits veranschlagten Grundstückspreise lassen hier Zweifel aufkommen.

Als Argument wird immer gerne genannt, dass 350 Wohnberechtigungsscheininhaber auf bezahlbaren Wohnraum warten. Kommunalpolitiker, die schon länger die Politik in Viernheim verfolgen, erinnern sich, dass in den letzten Jahrzehnten trotz vieler neuer Wohnviertel die Zahl sich im Wesentlichen nicht verändert hat. Offenbar hat das Bauen in Viernheim nur wenig Auswirkungen auf diese Zahl – oder anders gesagt: es wird zu wenig bezahlbarer Wohnraum geschaffen.

Weitere Wohngebiete sind schon in der Pipeline, wie das Gelände der Humboldt-Schule, die ja wieder an den Stadtrand im Osten ziehen soll.

Hilft Bauen?

Das Problem an der Forderung nach mehr Neubauten ist, dass in der Regel private Investoren bauen und bauen sollen. Diese wollen – legitimerweise – damit Geld verdienen und haben nicht unmittelbar ein Interesse daran, so zu bauen, dass spätere Mieter nicht so viel Geld bezahlen müssen. Wer teuer kauft, kann es sich gar nicht leisten, nachher günstig zu vermieten. Immerhin müssen Zins, Tilgung, Abschreibung und ein eventueller Gewinn erst erwirtschaftet werden.

Ob alle diese Wohnungen tatsächlich gebraucht werden bei einer in Deutschland zurückgehenden Bevölkerung sei dahingestellt. Die Aussage der Baugenossenschaft, dass sie keine neuen Gebäude mehr errichten will, weil sie eher von einer sinkenden Nachfrage ausgeht und sie ihren Mietern, die alle auch Mitglieder der Genossenschaft sind, nicht in 10 oder 20 Jahren erklären will, dass diese nun Leerstände mit bezahlen müssen, sollte Anlass geben, den Wachstumsprognosen der Stadt zu folgen.

Wie wurde bisher in Viernheim bezahlbarer Wohnraum geschaffen?

In der Vergangenheit bekamen bauwillige Investoren vergünstigte Grundstücke, wenn sie sich für 10, 15 oder 20 Jahre auf eine bezahlbare Miete festlegen. Allerdings laufen diese Wohnungen nach Ablauf dieser Zeit aus der Mietbindung aus und werden dann eben später teurer vermietet. Damit fällt Wohnraum nach einer bestimmten Zeit aus der Mietbindung heraus. Spätestens dann fehlen die Wohnungen wieder auf dem Markt.

Zusammengefasst kann man sagen: Viernheim baut und baut und baut, immer mit dem Argument für bezahlbaren Wohnraum. Investoren bekommen vergünstigte Grundstücke und gehen dafür eine Mietpreisbindung für eine bestimmte Zahl von Jahren ein. Wenn diese Zeit vorbei ist, fallen die Wohnungen aus der Mietpreisbindung und die Eigentümer können die Mieten erhöhen. Die Wohneinheiten fehlen dann wieder beim „bezahlbaren Wohnraum“ und man braucht neuen. Über die Zeit entstehen ein Baugebiet nach dem anderen, doch die Zahl der bezahlbaren Wohnungen steigt unter dem Strich nicht wirklich.

Es ist also nicht so einfach!

Gleichzeitig würden neuen Probleme entstehen, wenn die Bevölkerung tatsächlich zurückgeht und man aus welchen Interessen auch immer, jetzt neuen Wohnraum an der Peripherie schafft: Denn was passiert denn mit den Gebäuden in der Altstadt im Stadtkern, wenn man neue Wohnungen am Stadtrand schafft UND die Bevölkerung tatsächlich zurückgeht? Werden die Leute eher die neueren und moderneren Wohnungen am Stadtrand aufgeben oder eher die alten Gebäude im Stadtkern? Was machen wir dann mit den Häusern im Stadtkern? Wird die Stadt dann die Grundstücke mit den Häusern aufkaufen, um dort zum Beispiel einen Innenstadtpark zu errichten – sozusagen im Ausgleich für die ehemaligen Naherholungsflächen, die man Jahre zuvor unbedingt noch bebauen musste?

Was ist das Ziel?

Die Gemengelage ist komplex. Wir wissen nicht sicher, ob die Bevölkerung in Zukunft mehr oder weniger als heute sein wird. Die Stadtverwaltung weiß es auch nicht. Im Zusammenhang mit der Nordweststadt II geht sie von einer steigenden Bevölkerung aus, im Sportentwicklungsplan eher von einer sinkenden. Auf dieser Basis werden aktuell Entscheidungen für die Zukunft getroffen.

Hinzu kommen berechtigte Fragen nach dem Flächenverbrauch, dem Wegfall von Naherholungsflächen und der Frage, wie denn die neuen Bewohner mit den sozialen Einrichtungen wie Kindergärten etc. versorgt werden sollen, wenn das doch schon für weniger Menschen nicht gelingt.

Das Ziel muss also sein, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen für Menschen, die sich Wohnen sonst nicht leisten können, bzw. für Menschen, die sonst zu wenig Geld übrig haben für die anderen Dinge, die man im Leben noch braucht. Wenn Menschen die Hälfte ihres Einkommens oder mehr für das Wohnen ausgeben müssen, ist das für viele einfach zu viel.

Gleichzeitig muss – eine sinkende Bevölkerungszahl vorausgesetzt – beachtet werden, nicht zu viel zu bauen, was dann in zehn, fünfzehn oder 20 Jahren leer steht, weil die Wohnungen nicht mehr gebraucht werden.

Wie kann eine Lösung aussehen?

Eine Lösung des Problems wird nicht einfach werden! Einfach mehr zu bauen, mehr Bauflächen auszuweisen – also das, was man in den vergangenen Jahrzehnten immer gemacht hat – wird das Problem vermutlich nicht lösen, sondern kann ganz neue Problem in der Zukunft schaffen.

Kreative Lösungen sind also gefragt.

Was kann man noch tun als bauen? Wir haben einmal ein paar Möglichkeiten zusammen gesammelt, die andernorts gut funktionieren und die man finden kann, wenn man sich im Internet etwas umschaut.

Um einschätzen zu können, welche Punkte davon in Viernheim umsetzbar sind, brauchen wir Zugang zu den Verantwortlichen der Stadtverwaltung sowie ihrer Fachleute. Vielleicht wurde das eine oder andere auch von der Seite der Stadtverwaltung bereits angedacht und dann aus irgendwelchen Gründen verworfen. Hier wäre es interessant die Gründe zu kennen, um dann daran weiterzudenken und auf eine Lösung hinzuarbeiten.

Die Identifizierung von Leerständen und das Ansprechen der Eigentümer sowie das Einrichten einer Wohnungstauschbörse sollte auf jeden Fall möglich sein und erste Linderung bieten. Ggf. im Zusammenhang mit dem bestehenden Programm „Vermiet‘ doch an die Stadt“. Auf die Fertigstellung von Neubaugebieten zu warten ist keine gute Option!

Hier nun die Ideensammlung:


Nutzung bestehender Wohnflächen

Einliegerwohnungen aktivieren: Vielerorts stehen Einliegerwohnungen leer, da erwachsene Kinder ausgezogen sind. Mit entsprechenden Beratungsangeboten, können solche Wohnungen wieder dem Markt zugeführt werden.

Wohnungstauschbörsen: Den Wohnungstausch zwischen Mietern fördern, um Wohnraum effizienter zu nutzen. Leute, die in Wohnungen wohnen, die zu groß geworden sind (zum Beispiel durch den Auszug der Kinder) tauschen mit Familien, die mehr Platz benötigen, die Wohnung. (Ein schönes Beispiel für Wohnungstauschbörsen gibt Freiburg.)

Tinyhaus im Garten: Kurzfristig Abhilfe könnte die Bereitschaft von Gartenbesitzern sein, ihren Garten für Tinyhouses zur Verfügung zu stellen.

Hausumbauten: Kurzfristige Abhilfe könnte auch ein Umbau von Häusern bringen, zum Beispiel wenn man bestehende Einfamilienhäuser umbaut in Zweifamilienhäuser oder bestehende, bisher unbewohnte Flächen wie unter dem Dach nutzt und diese zu Wohnraum ausbaut.

Nutzung von Leerständen: In vielen Städten stehen sogar Wohnungen und Wohngebäude leer. Kommunen und Städte sollten aktiv Leerstände identifizieren und schauen, wie diese Wohnungen wieder genutzt werden können.

Umnutzung von Bestandsgebäuden

Umwandlung von Gewerbe und Büroflächen in Wohnraum: Leerstehende Bürogebäude oder auch leerstehende Einzelhandelsflächen, Hotels, Kirchen, ehemalige Verwaltungsgebäude und Kaufhäuser können in Wohnraum umgewandelt werden.

Konversion militärischer Anlagen: Ehemalige Kasernen oder militärische Liegenschaften bieten Potenziale für Wohnraumbeschaffung.

Nachverdichtung und Aufstockung: Bestehende Häuser können mit einer zusätzlichen Etage aufgestockt werden, zum Beispiel mit einer Leichtbaukonstruktion aus Holz. Auch Büro- und Verwaltungsgebäude sowie Parkhäuser können aufgestockt werden. Gemäß einer Studie der TU Darmstadt von 2016 könnten allein 400.000 Wohneinheiten entstehen, indem man den eingeschossigen Einzelhandel, Discountern und andere Märkten aufstockt und das bei Erhalt der Verkaufsflächen.

Innovative Wohnformen

Tiny Houses: Kleine, oft mobile Häuser können auf ungenutzten Grundstücken oder in Hausgärten aufgestellt werden, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.

Co-Living und gemeinschaftlichtes Wohnen: Wohnprojekte, bei denen Bewohner Gemeinschaftsräume teilen, fördern sozialen Austausch und reduzieren Wohnkosten.

„Wohnen für Hilfe“: Jüngere Menschen, beispielsweise Studierende, wohnen bei älteren Personen und unterstützen diese im Alltag. Dafür erhalten Sie eine günstige ode gar kostenfreie Wohnmöglichkeit. Beide Seiten profitieren.

Mehrgenerationen-WGs: Mehrgenerationen-Wohngemeinschaften können bezahlbaren Wohnraum schaffen und gleichzeitig soziale Isolation bekämpfen. Hie leben Menschen verschiedenen Alters zusammen und teilen Wohnraum und Alltagsaufgaben.

Beteiligung und Selbsthilfe

Organisierte Gruppenselbsthilfe: Gemeinschaften bauen gemeinsam Wohnhäuser, wobei durch Eigenleistung Kosten gespart werden. Organisierte Gruppenselbsthilfe im Wohnungsbau hat eine lange Tradition und ist in vielen Ländern eine übliche Form des Wohnungsbaus. In Deutschland liegen die Wurzeln am Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Wohnungsnot nach den beiden Weltkriegen.

Ein schönes Beispiel dafür ist das „Collegium Academicum“ in Heidelberg. Hier haben Studierende ein eigenes Wohnheim gebaut und damit das Problem des knappen bezahlbaren Wohnraums selbst in die Hand genommen. Heute wohnen im Collegium Academicum rund 180 Leute, die sich hier selbst verwalten. Die Mietkosten werden niedrig gehalten, indem alle Bewohner und Bewohnerinnen Aufgaben in der Verwaltung und Instandhaltung übernehmen. (Link und Link.)

Wohnungsbaugenossenschaften: Durch gemeinschaftlichen Besitz und Selbstverwaltung können Mietkosten niedriggehalten und Spekulation vermieden werden.

Sweat-Equity: „Schweiß statt Eigenkapital“ bzw. „Wohnen mit Eigenleistung“ beschreiben eine Form des Wohnungsbaus, bei der zukünftige Eigentümer einen Teil des Kaufpreises, der Baukosten oder der Renovierungskosten durch ihre eigene Arbeitsleistung erbringen. Das kann gemeinschaftlich geschehen oder auf bei Einzelobjekten. Viele Bauherren nutzen dieses Modell um Geld zu sparen. Internationale Beispiele zeigen, dass das auch in größerem Umfang funktioniert, wie beispielsweise Habitat für Humanity, die nach dem Hurrikan Katrina an der Golfküste der Vereinigten Staaten wirkten.

Weitere Möglichkeiten

„Gemeindebau“: Der Begriff „Gemeindebau“ wird in Österreich und speziell in Wien für eine Form des kommunalen sozialen Wohnungsbaus verwendet. Die Stadt Wien hat damit eine über 100-jährige Erfahrung, ca. 220.000 Gemeindewohnungen und ist somit die größte Hausverwaltung Europas. https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeindebau

Für das Thema „Bezahlbarer Wohnraum“ soll das Beispiel Wiens dafür stehen, dass Kommunen eigenen Wohnungsgesellschaften gründen und betreiben und so Einfluss auf das Angebot an bezahlbarem Wohnraum als auch auf die Mietpreisentwicklung nehmen können. Sie haben damit gleichzeitig Einfluss darauf wie teuer gebaut wird. Insbesondere das Ausschalten der (berechtigten!) Verdienstinteressen der Investoren und Bauträger dürfte zu einer Senkung der Kosten führen.

Modulares und serielles Bauen: Beim modularen Bauen werden vorgefertigte Bauelemente verwendet, was Bauzeiten verkürzt und Kosten senkt. Beim seriellen Bauen werden wiederholt standardisierte Elemente verwendet. Das können einzelne Bauteile sein oder auch ganze Häuser, die in Serie hergestellt werden. Niedrigere Kosten bei der Herstellung von Wohnraum können zu niedrigeren Mieten und damit bezahlbarem Wohnraum führen.

Experimentelle Stadtentwicklung: Experimentierklauseln im Baurecht erlauben es Kommunen, neue Wohnkonzepte außerhalb der standardisierten Vorgaben zu erproben.

Letztendlich gehören da auch weitere Maßnahmen für kostengünstigen Wohnraum dazu, die in Fachkreisen weitgehend bekannt sind. Es mangelt eher an einer breitenwirksamen Umsetzung sowie die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Das Fraunhofer-Informationszentrum Bau hat 2023 in einer Querschnittsstudie Forschungsarbeiten der letzten 15 Jahre zusammengefasst und veröffentlicht.

Digitalisierung im Bauwesen: Ein Aspekt aus der Fraunhofer-Studie ist die Digitalisierung im Bauwesen. Der Einsatz von Building Information Modeling (BIM) und digitalen Bauanträgen können Planungs- und Bauprozesse effizienter gestalten, Kosten senken und die Transparenz erhöhen.

„Jung kauft Alt“: In Hiddenhausen bei Bielefeld wurde ein zukunftsweisendes Modell zur Stadtentwicklung ins Leben gerufen. Der Hintergrund: Die Gemeinde wollte verhindern, dass bei einer schrumpfenden Bevölkerung neue Baugebiete am Ortsrand entstehen, während die alten Ortskerne verwaisen – etwa weil ältere Bewohner versterben oder in Pflegeeinrichtungen ziehen. (Link)

An einem Runden Tisch entwickelten Wohnungsbaugesellschaften, Makler, Architektinnen, Planer und Banken gemeinsam mit der Kommune ein alternatives Konzept: Statt auf neue Baugebiete zu setzen, entstand das Programm „Jung kauft Alt“. Es unterstützt junge Familien finanziell beim Kauf eines mindestens 25 Jahre alten Hauses innerhalb der bestehenden Ortslage. Wer zusätzlich in energetische Sanierung investiert, erhält weitere Fördermittel.

Das Konzept überzeugt: Mehr als 50 Städte und Gemeinden in ganz Deutschland haben „Jung kauft Alt“ inzwischen übernommen.

Public private Partnership: Durch Kooperationen zwischen Kommunen und Privatwirtschaft können Ressourcen gebündelt und effizienter genutzt werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die öffentliche Hand stellt dabei beispielsweise Grundstücke zur Verfügung, während private Investoren den Bau übernehmen.

Anstehende Veranstaltungen