Die Stadt Viernheim hat für ihre Kampagne zwei Zahlen aufgerufen und verwendet diese auch für da Ausstellen von Strafzetteln: Zum einen soll eine Gehwegbreite verbleiben von 1,30 und auf der Straße soll eine Durchfahrt von 3,50 Meter Breite bestehen. Woher diese Zahlen stammen und auf welcher rechtlichen Basis diese beruhen hat die Stadt nie erklärt – trotz mehrfacher Nachfragen vieler Bürgerinnen und Bürger.
Wir haben uns daher an das Polizeipräsidium, an den Regierungspräsidenten, an den Kreis Bergstraße, an das Justizministerium und an das Innenministerium gewendet, um diese Frage zu klären. Manche dieser Behörden sind Aufsichtsbehörden der Stadt Viernheim und damit zuständig!
Das Justizministerium hat zwar reagiert, aber dabei nur darauf hingewiesen, dass sie keine Rechtsberatung machen dürfen. Dass sie auch zuständig sein könnten, für rechtliche Klarheit zu sorgen, haben sie wohl nicht bedacht. Das Regierungspräsidium hat auf die nachgelagerte Behörde, den Kreis Bergstraße, verwiesen. Dieser hat aber trotz zweier Ansprachen nicht reagiert. Bürgerorientierung eben…
Jetzt hat aber das Innenministerium reagiert und entschuldigt sich zunächst für die späte Antwort. Sie begründet die Verzögerung damit, dass in deren Antwort die Stellungnahmen der Stadt Viernheim und die Prüfung des Regierungspräsidiums Darmstadt als Fachaufsichtsbehörde eingeflossen sind. Schön, dass die sich also doch mit der Beantwortung der Frage beschäftigt haben. Dies allerdings erst auf Anforderung des Innenministeriums und nicht auf Anfragen der Bürger. Die Stadt beantwortet also nicht die Fragen ihrer Bürger, sondern reagiert erst auf Anfrage des Innenministeriums. Bürgeriorientierung in Viernheim!
Im Folgenden nun der Text des Schreibens des Innenministeriums. Leider gehen sie nur ein auf die 1,30 und lassen eine Antwort bezüglich der 3,50 Meter aus. Wir fragen also nochmal nach.
Relevant dürfte der Schlusssatz sein, dass das Vorgehen der Stadt Viernheim von der Aufsichtsbehörde im Ergebnis nicht beanstandet wird.
Hier nun der Text des Schreibens vom 15.9.2025:
Sehr geehrter Herr Theymann,
vielen Dank für Ihre Eingabe. Ich bitte die späte Antwort zu entschuldigen, in die hiesige Bearbeitung sind die Stellungnahmen der Stadt Viernheim und die Prüfung des Regierungspräsidiums Darmstadt als Fachaufsichtsbehörde eingeflossen.
Grundsätzlich verstößt das Parken auf Gehwegen gegen das aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO abzuleitende Verbot, Gehwege ohne spezielle Erlaubnis zum Abstellen von Kraftfahrzeugen zu nutzen und stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. Nach § 12 Absatz 4 Satz 1 StVO ist zum Parken grundsätzlich der rechte Seitenstreifen zu benutzen. Hieraus folgt, dass auf Gehwegen nicht geparkt werden darf, soweit nicht im Einzelfall durch Zeichen 315 (§ 42 Abs. 4 StVO) oder Bodenmarkierung (§ 41 Abs. 3 Nr. 7 StVO) das Parken gestattet worden ist.
Zur Duldung von verbotenem Gehwegparken auch dort, wo es nach § 12 Abs. 4a StVO nicht legalisiert werden kann, führt das BVerwG in seinem Urteil vom 6. Juni 2024 (3 C 5.23) aus, dass es kein Gewohnheitsrecht auf Gehwegparken gibt. Das weder durch Verkehrszeichen noch durch Parkflächenmarkierungen erlaubte Gehwegparken bleibt daher auch bei jahrelanger faktischer Duldung verbotswidrig (Rn. 26). Es gibt insofern keine generelle rechtliche Ausnahme bei Gehwegparken, nur weil es auf die örtlichen Gegebenheiten zurückgeführt würde. Nach dem BVerwG kann die jahrelange Duldung allenfalls erfordern, dass ihre Beendigung und die vorgesehenen Maßnahmen vorab anzukündigen sind (Rn. 54).
Seit März 2025 betreibt die Stadt Viernheim die Kampagne „Alle brauchen Platz“, die das Parken auf Gehwegen thematisiert. Danach bleibt das Parken auf Gehwegen generell verboten, sofern es nicht durch Beschilderungen oder Bodenmarkierungen ausdrücklich erlaubt ist. Auf Gehwegen parkende Fahrzeuge werden jedoch von der Stadt im Rahmen der Kampagne „geduldet“, solange der Gehweg an seiner engsten Stelle durch das parkende Fahrzeug nicht bedeutend verkleinert wird und die Fahrbahn frei bleibt. Die Stadt wählt ein abgestuftes und quartierweises Vorgehen. Zunächst werden Hinweiszettel an falsch parkende Fahrzeuge verteilt; im Verlauf erfolgt die Erhebung von Verwarnungs- oder Bußgeldern. Die Quartiere sollen sodann Stück für Stück im Rahmen der Kampagne ausgewertet werden. Die daraus resultierenden Handlungsbedarfe werden schrittweise umgesetzt sowie in zukünftige Straßenverkehrsplanungen miteinbezogen.
Das von der Stadt Viernheim erarbeitete Konzept wird von der Rechtsprechung des BVerwG gedeckt und den vorgenannten Anforderungen gerecht, indem es die Kriterien vorgibt, in welchen Fällen des verbotswidrigen Gehwegparkens (nämlich bei Einhaltung von Mindestmaßen) eine Duldung der Ordnungswidrigkeit aktuell (noch) erfolgen kann. Ausweislich der Homepage der Stadt Viernheim soll die derzeitige Duldung im Ergebnis die Ahndung des verbotswidrigen Gehwegparkens schrittweise einführen und richtungslenkend für die zukünftige, langfristige Straßenverkehrsplanung in Viernheim sein. Insofern handelt es sich um ein abgestuftes und temporäres Vorgehen, welches nach langer Duldung dem Beschluss des BVerwG folgend angemessen ist.
Im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt der Grundsatz, dass gesetzwidriges Verhalten im Regelfall zu verfolgen ist. Daher bedarf auch nicht das Eingreifen einer Begründung, sondern die Nicht-Ahndung braucht als Ausnahme ein zusätzliches Kriterium. Illegales Gehwegparken kann daher nur unter Anwendung einer Ermessensabwägung geduldet werden.
Die kommunale Ordnungsbehörde hat bei der Bewertung von Gehwegparken daher ein eingeschränktes, aber doch ein Ermessen, das sich an den gesetzlichen Vorschriften, verwaltungsrechtlichen Vorgaben und gerichtlichen Entscheidungen orientieren muss. Die Entscheidung, sich im Prozess der Bewältigung einer längeren Duldung dabei zunächst Maßen zu bedienen, die sich aus örtlichen Gegebenheiten ableiten, ist in der Ermessensausübung nicht als fehlerhaft zu bewerten.
Einen Anspruch auf Duldung von verbotswidrigem Gehwegparken besteht aufgrund der Kampagne der Stadt Viernheim jedoch nicht, auch wenn die Hilfskriterien der freibleibenden Maße eingehalten würden. Wer im Ergebnis zum Beispiel zu einer Fahrbahnverengung beiträgt, riskiert ein Verwarngeld; dies gilt unabhängig davon, ob das Fahrzeug zuerst „geduldet“ auf dem Gehweg geparkt hat. Die Verantwortung liegt immer bei Fahrzeugführenden, zu prüfen, ob ausreichend Platz für Rettungsfahrzeuge und Fußgänger bleibt – auch wenn später ein weiteres Fahrzeug auf der anderen Fahrbahnseite parkt. Entsprechend des Konzepts der Stadt Viernheim kann in den Fällen, in denen klar erkennbar ist oder entsprechende Hinweise (z.B. Fotos) vorliegen, welches Fahrzeug die Engstelle auf dem Gehweg oder der Fahrbahn verursacht hat, nur gegen eines der beiden geparkten Fahrzeuge eine Maßnahme ergriffen werden. Dieses Vorgehen liegt jedoch im behördlichen Ermessen – es gibt keinen Anspruch auf ein Nichteinschreiten der Behörde.
Bürgerinnen und Bürger können gegen etwaige Verwarn- oder Bußgeldbescheide vorgehen oder sich mit formalen Beschwerden, Petitionen oder im Rahmen von Beteiligungsverfahren an die Stadt wenden. Im Rahmen dieser Verfahren besteht auch jederzeit die Möglichkeit getroffene Entscheidungen zu überprüfen.
Die von Ihnen angefragte rechtliche Grundlage ist also eine Ableitung aus den einschlägigen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und dem Bundesverwaltungsgerichts-Urteil aus 2024. Die gewählten Maße, anhand derer sich die Stadt Viernheim in der Bewertung der Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren orientiert, leiten sich nicht aus der StVO ab, sondern sind Hilfskriterien der Ermessensausübung und insofern nicht aus konkreter Gesetzgebung, dennoch aber auch nicht willkürlich, hergeleitet.
Das Vorgehen der Stadt Viernheim wird von der Aufsichtsbehörde im Ergebnis nicht beanstandet. Ich komme zu keiner abweichenden Einschätzung.
Ich hoffe, dass ich damit Ihre Fragen beantworten konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag